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19.07.17 - Upernavik, 72°47,27 N 056°08,87 W

Den Rahmen für die Navigation des gestrigen Tags gab im Segelhandbuch die typisch englische, zurückhaltende Bewertung der Seekarte für unser Gebiet. Die Karte sei „of limited use because it lacks any soundings, except in the SW entrance“ zu unserem Gebiet. Für die Navigation bedeutet das: In der Mitte des Fjords bleiben, sobald die Tiefe unter 40 m geht, aufpassen, bei 20 m die Geschwindigkeit drosseln, ab 10 m die Geschwindigkeit weiter reduzieren, den Adrenalinpegel und den hydraulischen Kiel hochfahren. Lotrechte Felswände sind gut, flache Inseln böse. Als Ermahnung liegen am Ufer immer wieder mal einzelne Steine von 10 m Durchmesser herum. Wenn die im Wasser auf einer flachen Barre liegen wird aus befahrbarer Tiefe schnell ein Problem.

 

Für den heutigen Tag erhöht sich die Anforderung an die Interpretation der Karte. Die von uns gewählte Route „goes over areas which are shown as land on some charts,“ denn wir wollen die Abbruchkante des Upernavik Eisfeldes erkundigen. Der Gletscher hat sich in den letzten Jahren immer weiter zurückgezogen, so dass heute ein „Achterfahrwasser“ existiert, dass eine Annährung an Upernavik von Osten ermöglicht.

 

Mit ein wenig Grummeln im Magen sehen wir dem Punkt entgegen, an dem Morning Haze über Land fährt. Zum Glück hat eine sehr detaillierte Skizze im Segelhandbuch Vertrauen erweckt und erleichtert die Gewöhnung ans Navigieren ohne jede Karte. Nur der Gletscher spielt nicht mit: Seit 2004, dem Datum der Skizze im Handbuch, hat er sich weiter zwei Seemeilen zurückgezogen. Wir haben also nichts außer unserer Beobachtung der Umgebung und den daraus folgenden Annahmen über die Änderung des Meeresbodens. Sehen kann man nichts, denn das Wasser ist überwiegend milchig blau, wegen des hohen Sedimentanteils. Aber alles klappt gut.

 

 

 

Am frühen Nachmittag erreichen wir für eine „Fotosession mit Gletscher“ 72°47,133 N 054°14,174 W – nach der Karte jedenfalls qualifiziert sich MH damit als Amphibienfahrzeug. Aber wahrscheinlich ist das Segeln auf Flächen, die laut Karte Gletscher sind, „Fake News“ – ebenso wie der ganze Unsinn über global Warming.

 

Beim Weg aus dem Gletscherbruch heraus hat sich die Anspannung ob des völligen Fehlens von kartografischen Informationen weitgehend gelegt. Fast schon intuitiv geht das Gas weg, wenn ein flachgeschliffener Küstenbereich in der Nähe ist. Liegt ein großer Eisberg vor uns fest, bleibt auf der Wasserseite(also gegenüber der Stelle, wo der Eisberg auf Grund gelaufen ist) das Gas stehen. An einer Stelle zeigen ein paar kleine Growler deutlich über Wasser die Schmelzform der Oberseite; der 90° Turn führt uns gerade noch rechtzeitig von einer langen, flachen Rampe weg, auf der diese putzigen Eispilze gestrandet sind. Auch das natürlich großes Jungensspiel vor überwältigendem Szenario. Das einzige was wir berühren ist Crushed Ice, aber dafür wurde Morning Haze ja gebaut.

 

Am Ende habe wir nochmals Glück. Der Eisfjord vom Gletscher zum Meer ist zwar vollgepackt mit riesigen Eisbergen. Wir können aber an seiner Südseite, geschützt durch eine Kette von Schären, zwischen etwas weniger dichtem Treibeis unseren Weg nach Westen suchen und so Upernavik tatsächlich von Osten her erreichen.

 

Ein kleiner Wehmutstropfen am Ende. Der Ankerplatz unmittelbar vor Upernavik ist durch einen österreichischen Segler belegt, so dass wir kurz vor 22:00 neben einem polnischen und einem italienischen Segler und einem grönländischen Fischerboot als Vierter im Päckchen liegen. Pretty crowded.

 

Wir werden hier bis Sonntag bleiben und auf Jörg und Christoph warten, die mit Benedict und mir den Rest der Reise verbringen.