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28.08.17 - Herschel Island, 69°36,40 N 138°56,50 W

Vor mir strahlt ein großer alter Holzhofen seine Hitze ab. Auf dem Ofen steht ein riesiger Wasserkessel, aus dem ich mit einer einfachen Plastikkanne Wasser schöpfe und zischend auf dem Ofen verdampfen lasse. Christoph und mir wird auf unseren Holzbänken das Atmen kurzzeitig schwer. Wir sollten den Bademeister bitten, die Temperatur zu reduzieren. Stop, da war doch was: Wir sitzen nicht in einer exklusiven rustikalen Sauna, in der ein tätowierter Muskelmann Ajuveda Aufgüsse bereitet und am Temperaturschalter dreht, sondern in einer einfachen Holzhütte am Rande einer alten Walfängerstation in der Arktis. Also machen wir selber die klapprige Tür auf und lassen etwas Polarluft hinein. Das Kaltwasserbecken ist das arktische Meer; leider ist der Strand so flach, dass die Füße abgefroren sind, bevor man ganz eintauchen kann. Ich nehme noch eine Schwalldusche (mit einen Eimer aus dem Bottich vor der Tür Wasser schöpfen und über den Kopf gießen). Dann noch durch das Kneip-Bad (eine Plastikschüssel vor der Tür, in deren lufttemperiertem Wasser wir den Sand abspülen) und ab unter die Dusche. Die Einhebelmischbatterie der Dusche in der Hütte (also mitten in der Sauna) funktioniert nach dem „Skin-Sensor-Prinzip“: Wenn Deine Haut sagt, das Wasser läuft zu heiß aus dem oben an der Wand angebrachtem Plastikeimer, kippe eine Kanne kalten Wassers hinein. Ist es zu kalt, heißes Wasser aus dem Wasserkessel auf dem Ofen.

 

Die alte Walfängerstation auf Herschel Island macht es schwer, sie nicht zu mögen. Sonne, blauer Himmel, spannende Wolkenformation und endlich nicht mehr nur platte Küste sondern eine richtiges Gebirge hinter dem Mündungsdelta des MacKenzie Rivers, frisch bestäubt mit Neuschnee – der Sommer bereitet sich auf den nahtlosen Übergang auf den Winter vor.

 

Nachdem um 9:00 der Anker fiel und um 13:00 der „Nachschlaf“ endete, gab es erst einmal Hafenkino: Ein Wasserflugzeug kommt heran, mit den Flügeln winkt der Pilot zurück und landet sozusagen hinter unserem Heck. Als er eine Stunde später wieder startet, transportiert er auf einer der Kufen ein Kajak. Ein Padler ist 46 Tage lang den Mackenzie River heruntergepadelt, hat die Nächte allein in der Wildnis zugebracht und dann noch eine kleine Küstenpasssage bis Herschel Island angehängt. Ab dann bitte wieder Zivilisation: Wasserflugzeug-Abholservice.

 

Wir werden von zwei freundlichen Rangern empfangen, die uns die Geschichte dieser Handelsstation für Walfänger erklären. Herschel Island war schon seit dem Beginn des zweiten Jahrtausends besiedelt, von einem Vorgängervolk der Inuit. Nach nur 30 Jahren der Blüte während der Hochzeit des Walfangs verfiel der Ort. Heute ist Herschel Island ein staatlicher Park zur Bewahrung der Erinnerung an die Besiedlung im Laufe der Jahrhunderte. Das Baumaterial für die wenigen Hütten war vor Ort gesägtes Treibholz, das vom MacKenzie River in das arktische Meer getragen und hier angetrieben wurde. Brennholz gab es so genug.

 

Heute wird das Treibholz nur noch für Reparaturen und zum Heizen gebraucht. Der ganze Strand ist voll davon. Nachdem wir das Schild „No official airstrip – use at your own risk“ gefunden haben, erkennen wir zwischen dem Treibholz die „Landebahn“. In dem Moment kommt schon eine kleine zweimotorige Maschine heran, dreht drei Orientierungsrunden und landet dann kurz und beherzt. An den Schwankungen des Flugzeugs während des „taxiing“ wird deutlich, dass man mit dem normalen PKW dort jedenfalls nicht fahren kann. Unwillkürlich denke ich „Buschpilot“ – vielleicht etwas fehl am Platz nördlich der arktischen Baumgrenze. Statt Indiana Jones steigt ein feiner, eher zierlicher älterer Herr aus.

 

Unser Ranger berichtete, dass die Insel äußerst artenreich sei. Die Unmengen an Caribou Stangen und Schädel von Moschus-Ochsen seinen aber nicht vergessene Trophäen einheimischer Jäger, sondern das, was Eisbären und Grizzlys übrig lassen. Mitnehmen dürfe man aus einem Park jedoch nichts. Da unser Ranger außerhalb der Saison (Mitte Mai bis Mitte September) Jäger und Fallensteller ist, beginnen wir die Lieferung eines Eisbärenfells nach Deutschland zu verhandeln. Wollte ich immer schon haben. Benedict freundet sich mit einem Fuchs an, der über längere Zeit ein Fotoshooting über sich ergehen lässt – leider nur ein roter Fuchs in der Arktis. Der schwarze Arctic Fox hatte kein Bock auf neugierige Touristen.

 

Neben der historischen Bedeutung unterhält Herschel Island heute vor allem Wissenschaftler, die hier ganz bequem (mit Sauna) Forschungsprojekte zur Ermittlung von Fake News über Global Warming betreiben können. Das Alfred Wegner Institut ist natürlich dabei und beschäftigt sich vor Ort mit dem Einfluss des Klimawandels auf den Permafrost. Hier um Süden (ziemlich genau fünf Breitengrade südlich von Resolute, das ist so etwa die Distanz von Hamburg nach München) hat sich auf dem Permafrost eine Humusschicht mit dichter Vergetation gebildet. Durch das Absinken des Taupunktes des Permafrostes in größere Tiefen verliert diese Vegetationsschicht ihren „Kleber“ und rutscht an den Hängen großflächig ab. An der Station verfallen aus dem gleichen Grund die historischen Eiskeller. Das sind von den „Walern“ in den Boden gesprengte Löcher, die auch im Sommer stets Temperaturen deutlich unter dem Gefrierpunkt halten. Die auftauenden Decken kollabieren einfach. Der letzte intakte Eiskeller, den wir besichtigen dürfen, wies bei unserem Besuch -4° auf; vor zehn Jahren lag die Temperatur, laut unserem Ranger, ganzjährig immer im negativen zweistelligen Bereich.

 

Am Nachmittag kommt Nauta D, wo man uns wieder einmal ein hervorragendes Abendessen serviert. Für beide Crews ein ungeplanter Stop. Ungeplant, weil das Wetter bis Demarcation Bay reichen sollte. Unwillig, weil wir eigentlich so schnell wie möglich um Point Barrow herum wollen. Zufrieden, weil es so schön ist.